Spessart-Mainland: Feuer für das Salz des Lebens
Stefan Smolinka brennt für seine Heimatstadt Bad Orb und kommt für sie regelmäßig ins Schwitzen: Wenn er zusammen mit den Bad Orber Salzsiedern das Feuer unter der großen Sudpfanne schürt, wird die Geschichte des Heilbads im Spessart-Mainland lebendig – und das vor der großartigen Kulisse des historischen Gradierwerks und der futuristischen Toskana Therme.
Wenn man Wein mit Familiennamen (und Sisi mit Vornamen) heißt, passt es wunderbar, wenn man über den Frankenwein schreiben darf. Und über Frankens kulinarische Besonderheiten. Über Natur, Traditionen und Kultur. Und nicht zuletzt über unglaublich spannende und gastfreundliche Menschen, die das Urlaubsland so besonders machen. Das tue ich nun, seitdem ich vor rund 20 Jahren als Journalistin vom Bayerischen Wald in den Naturpark Altmühltal gezogen bin.
Mit den Hausbesuchen begleiten wir Einheimische bei ihrem täglichen Wirken im Urlaubsland Franken. Heute besuche ich die Kurstadt Bad Orb und schaue Stefan Smolinka und seinen Salzsieder-Kollegen über die Schulter.
Weißer Dampf umhüllt im Bad Orber Kurpark die fünf Männer, die mit ihren groben Leinenhemden und ihrer mittelalterlichen Gugel-Kapuze wie aus der Zeit gefallen wirken. Während die einen Holzscheit für Holzscheit das Feuer füttern, harken die anderen mit langen Forken durch die milchigtrübe Flüssigkeit in der großen Sudpfanne. „Gibts hier Suppe?“ fragt ein Tourist angesichts der brodelnden Brühe. Ein Probierlöffel würde ihm den Genuss mit Sicherheit gründlich versalzen – denn hier entsteht gerade das Bad Orber Siedesalz.
Bereitwillig Auskunft darüber gibt den Spaziergänger:innen Stefan Smolinka. Er gehört nicht nur seit Jahren zu den Bad Orber Salzsiedern, sondern ist auch Obmann der örtlichen Gästeführer-Gilde. Zusammen mit seinen Kollegen schlüpft er regelmäßig bei Themenführungen in Rollen wie die eines Kurgasts oder eines legendären Spessart-Räubers, um den Teilnehmer:innen unterhaltsam und fachkundig Bad Orb nahezubringen. „Multiple Gästeführer-Persönlichkeit“ nennt dies Stefan Smolinka, der im Hauptberuf als Leiter eines Bad Orber Altenheims arbeitet. Die Geschichte seiner Heimatstadt pflegt er als leidenschaftliches Hobby.
Eine seiner liebsten Rollen ist der Salzsieder: In diesen verwandelt er sich nicht nur bei Führungen, sondern auch, wenn „Schau-Salzsieden“ im Kalender steht – etwa beim jährlichen Gradierwerkfest am 3. Oktober. Bei diesen Gelegenheiten zeigen die Salzsieder, wie in früheren Zeiten aus Solequellen Salz gewonnen wurde. In Bad Orb stammt die Sole dafür aus der Phillips- und der Ludwigsquelle. Ihr Wasser sprudelt, wie Stefan Smolinka sagt, „mit Schmackes“ aus der Erde. Wenn das Wasser verkocht, wird der Salzbrei dicker und dicker. „Da gibt es diesen bestimmten Punkt, an dem das Salz anfängt zu kristallisieren“, führt Stefan Smolinka aus: „Dann muss man aufpassen, dass das Salz nicht anbrennt.“
10 bis 15 Kilo Salz bleiben am Ende übrig. Die Salzsieder füllen es nach ihrer schweißtreibenden Arbeit in kleine Säckchen oder Streuer und verkaufen es als Souvenir – allerdings nicht zum Eigennutz. Der Erlös dient dem Erhalt des mächtigen Bad Orber Gradierwerks, vor dem das Feuer der Salzsieder lodert. Es ist ein Symbol dafür, wie eng die Bad Orber Geschichte mit seiner Sole verbunden ist. Heute ist der 155 Meter lange, 12 Meter breite und 18 Meter hohe Bau einer der Gesundheits-Orte des Heilbads. Vom Boden bis zur Decke des Baus ist dicht auf dicht Schwarzdorn-Reisig geschichtet, über das die Sole rieselt. Durch die Vernebelung erreicht die Sole selbst die kleinen Verästelungen der Bronchien – eine Wohltat für die Atemwege. „Wer durch unser Gradierwerk spaziert, genießt ein Klima wie am Meer bei Brandung“, erklärt Stefan Smolinka nicht ohne Stolz.
Was heute ausschließlich der Gesundheit dient, hatte jedoch beim Bau ganz andere Hintergründe. „Das Salz hat Bad Orb schon im Mittelalter reich gemacht“, so der Stadtführer weiter. „Mit Beginn der Industrialisierung stieg der Salzbedarf dann noch einmal kräftig.“ Die Lösung brachten die neuen Gradierwerke. Rieselt die Sole über das Reisig, verdunstet das Wasser auf natürliche Weise, die Salzkonzentration erhöht sich. Erst dann wird das Salz gesiedet. Praktischer Nebeneffekt: Kalk, Ton oder Gips bleiben im Dornengestrüpp hängen. Eine andere Pflanze als die widerstandsfähige Schlehe, von der das Schwarzdornreisig stammt, kommt dafür übrigens nicht in Frage: „Das Salz würde die Zweige in zwei, drei Jahren einfach zerfressen“, so Stefan Smolinka.
Insgesamt zehn Gradierwerke wurden in Bad Orb errichtet. Doch schon im 19. Jahrhundert war diese Art der Salzgewinnung aus Kostengründen immer weniger gefragt. Gradierwerk um Gradierwerk wurde abgerissen. Bad Orb hätte sicher eine andere Entwicklung genommen, wenn es den findigen Apotheker Franz Leopold Koch nicht gegeben hätte. Er sollte eigentlich im Auftrag König Ludwigs I. die Stadtapotheke abwickeln. Doch Koch erkannte das Potenzial der gesundheitsfördernden Sole. Auf eigene Kosten eröffnete er das erste Bad Orber Solebad: Einer der hölzernen Badezuber steht heute noch im Gradierwerk.
Als Anfang des 20. Jahrhunderts schließlich der weitläufige Kurpark angelegt wurde, durfte das letzte Gradierwerk zum Glück als Freiluft-Inhalatorium stehen bleiben – vorerst. Denn an ihm nagte der Zahn der Zeit und es wurde baufällig: Den Abriss verhinderte schließlich der Verein „Freunde des Gradierwerks Bad Orb“, zu dem auch die Salzsieder gehören. Dank ihres Engagements wurde das letzte verbliebene Gradierwerk in den Jahren 2001 bis 2015 generalsaniert.
Steigt man mit Stefan Smolinka bei einer Führung unters Dach des beeindruckenden Baus, hat man Geschichte und Gegenwart der Bad Orber Gesundheitswelt im Blick: hier die historische Anlage, gleich daneben der geschwungene Bau der Toskana Therme. Statt im historischen Badezuber „schweben“ die Badegäste hier in körperwarmer Sole und haben ihrerseits dank der großen Glasfronten beste Sicht auf das Gradierwerk – und mit etwas Glück auch auf die Salzsieder, ihr schweißtreibendes Handwerk und ihre Leidenschaft für das Salz des Bad Orber Lebens.
Noch mehr Inspiration im Video: www.sat1.de
Na? Neugierig darauf geworden, in die Geschichte des Salzsiedens einzutauchen und anschließend in Bad Orb die Wohltaten der Therme zu genießen? Alle weiteren Informationen dazu findet man unter www.bad-orb.info sowie unter www.toskanaworld.net. Noch viel mehr als Sole und Thermalbad hat das gesamte Gebiet Spessart-Mainland zu bieten – mit Wild und Wein, wunderschönen Naturlandschaften am Main und im Spessart sowie weitläufigen Rad- und Wanderwegnetzen kann man sich im fränkischen „Märchenland“ verzaubern lassen: www.spessart-mainland.de. Bad Orb und die gesamte Region sind durch die zentrale Lage hervorragend in die Streckennetze der überregionalen Verkehrsverbände eingebunden, weitere Informationen zur Anreise unter www.toskanaworld.net.