Steigerwald: Am Birnbaum wächst das Welterbe
Welcher Ort kann schon von sich sagen, gleichzeitig einer der „100 Genussorte Bayern“ und „Immaterielles Kulturerbe der UNESCO“ zu sein? Fatschenbrunn kann! Zu verdanken hat diese Auszeichnungen das 250-Einwohner-Dorf im Steigerwald einer fruchtigen Köstlichkeit namens Hutzel – und Franz Hümmer, der sich mit großer Leidenschaft für deren Herstellung und den Erhalt der damit verbundenen Traditionen einsetzt.
Wenn man Wein mit Familiennamen (und Sisi mit Vornamen) heißt, passt es wunderbar, wenn man über den Frankenwein schreiben darf. Und über Frankens kulinarische Besonderheiten. Über Natur, Traditionen und Kultur. Und nicht zuletzt über unglaublich spannende und gastfreundliche Menschen, die das Urlaubsland so besonders machen. Das tue ich nun, seitdem ich vor rund 20 Jahren als Journalistin vom Bayerischen Wald in den Naturpark Altmühltal gezogen bin.
Mit den Hausbesuchen begleiten wir Einheimische bei ihrem täglichen Wirken im Urlaubsland Franken. Heute statte ich dem „Hutzelhof“ von Franz Hümmer in Fatschenbrunn einen Besuch ab.
Auf Franz Hümmers Hof versammeln sich heute alle Köstlichkeiten, die der kleine Ort Fatschenbrunn zu bieten hat: Neben den interessant klingenden „Hutkrapfen“ und „Geschnittene Hasen“ gibt es Honig, Haselnüssen und Zwetschgen – und eine örtliche Spezialität, die ganz besonders heraussticht – die Hutzeln, typische Dörrbirnen aus dem Steigerwald.
Gute Birnen, Feuer und eine Därre: Mehr braucht es nicht, damit aus einer frischen Birne eine Hutzel wird. Früher gab es über 30 Därren in Fatschenbrunn, das als Ortsteil zu Oberaurach gehört. Heute ist der Familienhof von Franz Hümmer Mittelpunkt der Hutzelherstellung, obwohl, wie er betont, das ganze Dorf hinter dieser Tradition steht. So hat die Dorfgemeinschaft gemeinsam und in Eigenregie die Bewerbung „ihrer“ Hutzeln als immaterielles Kulturerbe auf die Beine gestellt. Die Hutzeln wurden nicht nur von der UNESCO anerkannt, sondern sind auch Passagier in der „Arche des Geschmacks“ von „Slow Food Deutschland“ und Grund für die Auszeichnung Fatschenbrunns als einer der „100 Genussorte Bayern“.
Doch was hat es mit der Hutzel so Besonderes auf sich? Die Antwort liegt für Franz Hümmer klar in ihren inneren Werten. Hauchdünn schneidet er eine Hutzel in Scheiben und hält eine davon gegen die Sonne. War sie vorher unscheinbar braun, leuchtet sie jetzt wie Bernstein in sattem Orange. „Für mich ist da die Sonne drin“, begeistert sich Franz Hümmer. Und so schmecken die Hutzeln auch: Nach der Kraft des Sommers, nicht zu süß, mit weichem Biss und voller Aroma. Deshalb machen sie sich auch gut im Hutzelbrot, im Kuchen, zu Müsli oder Käse sowie als schneller Energielieferant für zwischendurch.
Weil die Hutzeln voller Energie und Vitamine stecken, waren sie in früheren Jahrhunderten auch heiß begehrt. „Hutzeln waren wie eine Lebensversicherung. Wer sie hatte, ist im Winter nicht verhungert“, erzählt Franz Hümmer. Sie waren zum einen fester Bestandteil des Ernährungsplans der Fatschenbrunner, wurden aber auch für Nürnberger Lebkuchen verwendet und auf den Märkten verschiedener Städte verkauft. „Der Obstanbau war deshalb schon immer ein zweites Standbein für die Fatschenbrunner Bauern“, so Hümmer weiter.
Die Hutzeln kamen viel weiter in der Welt herum, als es sich so mancher Fatschenbrunner vorstellen konnte. Über den Main und den Rhein wurden sie bis nach Rotterdam verschifft und dort – in Zeiten, bevor Lebensmittel durch Einwecken oder in Dosen haltbar gemacht wurden – als begehrter Schiffsproviant verkauft. „Die Hutzeln sind sehr lange haltbar und einfach zuzubereiten – notfalls muss man nur reinbeißen“, erklärt Hümmer deren Beliebtheit auf See. Teils sind die Birnbäume, die in und um Fatschenbrunn wachsen, bereits über 200 Jahre alt. „Hutzeln von diesen Bäumen haben vielleicht schon Kap Hoorn umrundet“, schwärmt Hümmer. Als der Bedarf an dieser Art Schiffsproviant mit der Zeit deutlich zurückging, wurden auch die Därren in Fatschenbrunn immer weniger, bis fast nur noch der Hutzelhof von Hümmers Familie übrig blieb.
An der Herstellung der Hutzeln hat sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum etwas geändert. Franz Hümmer pflückt sie im Herbst als Fallobst oder schüttelt sie vom Baum. 33 Birnensorten – von der Pastorenbirne über den Katzenkopf bis zum Mollebusch – wachsen in Fatschenbrunn. Auf dem Hof wartet zur Erntezeit eine fruchtige Vielfalt darauf, „verhutzelt“ zu werden: Sonnengelbe und kiwigrüne Birnen sind darunter, mal sind sie rotbäckig, mal kugelrund, mal handtellergroß, mal klein wie eine Walnuss. Sortiert und gewaschen schüttet sie Franz Hümmer auf die „Därrhärrli“. Auf diesen Gestellen kommen die Birnen mit Stumpf und Stiel in die befeuerte Därre und bleiben dort drei bis fünf Tage, um bei rund 60 Grad zu trocknen. Die heiße Luft reicht vollkommen, Konservierungsmittel brauchen die Hutzeln nicht. Dafür wird jede einzelne von Franz Hümmer überprüft, ob sie genau den richtigen Trocknungsgrad hat, und darf erst dann in den Verkauf in Hümmers Online-Shop. Jede Menge Arbeit, die Franz Hümmer und seine Familie hier leisten. „Früher hat mein Vater das gemacht, ich habe es übernommen. Man tut das ja auch, damit es erhalten bleibt“, erklärt er seine Motivation.
Dank der Birnbäume hat sich in Fatschenbrunn aber noch etwas anderes erhalten – und zwar die historische Baumfelder-Wirtschaft, die im Dorf seit 800 Jahren belegt ist. „Baum auf Acker“, erläutert Hümmer das Prinzip. Das Land wurde sozusagen auf zwei Etagen genutzt, indem unter den Birnbäumen Getreide, Kartoffeln und Rüben angebaut wurden und so „eine kleine Fläche viele Menschen ernährt hat“. Erst die Einführung immer größerer Maschinen verdrängte die Baumfelder. Nicht aber in Fatschenbrunn, wie etwa ein Spaziergang auf dem „Kulturweg Fatschenbrunn“ zeigt. Zudem ist diese Art der Bewirtschaftung heute wieder hochaktuell, wie Hümmer betont: „Studien haben ergeben, dass dadurch der Boden nicht so ausgelaugt und auch die Artenvielfalt größer wird.“
An die Zukunft denkt auch Franz Hümmer: Erst im Frühjahr hat er rund 100 junge Birnbäume gepflanzt, als „Gesellschaft für die rund 250 Baumveteranen im Dorf“. Für seinen Hof hat er ebenfalls Pläne, etwa für eine Schaudarre, einen Hofladen oder ein Hofcafé. Ein Besuch lohnt sich natürlich jetzt schon – und wer im Rahmen einer Führung den Hutzelhof kennenlernt, kann sicher sein, dass Franz Hümmer ein Füllhorn der Fatschenbrunner Köstlichkeiten für ihn bereithält.
Na – wer möchte nun nicht die Hutzeln aus dem Steigerwald probieren? Näheres zur Herstellung von Hutzeln und alles Wissenswerte zur fruchtigen Nascherei findet sich unter www.hutzeln.net. Neben schmackhaften Köstlichkeiten wie den Hutzeln hat der Steigerwald noch weitaus mehr zu bieten – Wellness, Kulturgenuss, ein weitläufiges Rad- und Wanderwegenetz sowie jede Menge fränkischer Geschichte treffen in dieser Urlaubsregion aufeinander: www.steigerwaldtourismus.com. Eine bequeme und komfortable Anreisemöglichkeit in die Region bietet die Bahn mit einem weit verzweigten Streckennetz – mehr hierzu unter www.steigerwaldtourismus.com/service/anfahrt/.