Spurensuche in den Haßbergen – Der Ring der „Graffelti“
Andreas Rottmann aus den Haßbergen ist Schatzbewahrer, Grenzüberschreiter und Geschichtenerzähler in einer Person. Als Leiter der „Museen in der Schranne“ in Bad Königshofen schafft er im Grabfeld Treffpunkte, an denen Menschen und Geschichte zusammenkommen.
Wenn man Wein mit Familiennamen (und Sisi mit Vornamen) heißt, passt es wunderbar, wenn man über den Frankenwein schreiben darf. Und über Frankens kulinarische Besonderheiten. Über Natur, Traditionen und Kultur. Und nicht zuletzt über unglaublich spannende und gastfreundliche Menschen, die das Urlaubsland so besonders machen. Das tue ich nun, seitdem ich vor rund 20 Jahren als Journalistin vom Bayerischen Wald in den Naturpark Altmühltal gezogen bin.
Mit den Hausbesuchen begleiten wir Einheimische bei ihrem täglichen Wirken im Urlaubsland Franken. Mit dem „Grabfeld“ und der bewegten Geschichte der Region befassen sich die „Museen in der Schranne“ unter Leitung von Andreas Rottmann.
Die „Ringleinsage“
Die Königin war untröstlich. Eben noch war sie mit ihrem Gatten und dem gesamten Gefolge auf der Jagd, da bemerkte sie den Verlust ihres Eherings. Zu allem Übel verdächtigte sie ihr königlicher Gemahl, den Ring wegen eines Liebhabers absichtlich weggeworfen zu haben. Um ihn zu besänftigen, ließ sie das gesamte Jagdgebiet umgraben. Der Ring wurde entdeckt und an der Fundstelle in diesem „Grabfeld“ das Rathaus einer neuen Stadt errichtet. Ihr Name: Königshofen – das heutige Bad Königshofen.
Diese „Ringleinsage“ kennt Andreas Rottmann bestens. Nicht nur, dass das Glockenspiel am Bad Königshofener Rathaus mehrmals täglich diese Geschichte erzählt, zu hören ist sie auf Knopfdruck auch im Foyer der „Museen in der Schranne“, deren Leiter Andreas Rottmann ist. Gleich mehrere Ausstellungen haben in dem 1693 errichteten Getreidespeicher ihr Zuhause: das Archäologiemuseum als Zweigstelle der Archäologischen Staatssammlung München, das
„Museum für Grenzgänger“ und der „Treffpunkt Grabfeld“.
Das Grabfeld
Aber was genau ist nun dieses Grabfeld eigentlich, um das sich die Museen in der Schranne drehen – schließlich befinden sich die Besucher:innen doch eigentlich mitten in den fränkischen Haßbergen? „Das Grabfeld ist ein Teil der Haßberge, reicht aber auch darüber hinaus“, so Andreas Rottmann: „Um das zu verstehen, darf man nicht in heutigen Gebietsgrenzen denken. Vielmehr war das Grabfeld ein alter ostfränkischer Gau, der sich einst von Fulda über das Coburger Land bis an den Main bei Schweinfurt erstreckt hat.“ Um ein Gespür für das Grabfeld zu bekommen, empfiehlt er einen Ausflug zur Aussichtsplattform „Grabfeldblick“ ganz in der Nähe der Stadt: Weit schweift der Blick über die flache bis sanft gewellte Landschaft, die von einer Kette an Mittelgebirgen eingerahmt wird: im Norden die Rhön, im Süden und Westen die Haßberge und im Osten der Thüringer Wald.
Im Jahr 739 wurden die Bewohner des Grabfelds das erste Mal als „Graffelti“ in einem päpstlichen Schreiben erwähnt. Damit stellt das Grabfeld eine der am frühesten bezeugten fränkischen Landschaften dar. Besiedelt war es allerdings schon viel früher. Das beweisen die eindrucksvollen Funde im Archäologiemuseum der Schranne, die viel zu erzählen haben. „Es geht um die kulturellen Grenzen, die die Menschen im Lauf der Geschichte überschritten haben und die Übergänge, die so entstanden sind“, betont der Museumsleiter.
Von der Jungsteinzeit zur Wiedervereinigung
Diese kulturellen Übergänge haben ganz unterschiedliche Themen: So steht etwa ein Männergrab aus dem Jahr 5350 v. Chr. für die Riten, die den Übergang vom Leben zum Tod begleiteten. Ton-Gefäße zeugen davon, wie die Jäger der Jungsteinzeit langsam sesshaft wurden. Auf den ersten Blick mag so ein Tontopf vielleicht nicht spannend wirken, aber letztendlich – so erfährt man in der Ausstellung – revolutionierten die Töpfe die Nahrungszubereitung, da man in ihnen zum Beispiel Getreidebreie kochen konnte. Viele dieser Übergänge gehen mit der Entwicklung neuer Techniken einher, die man bei Workshops oder in der „SteinzeitWerkstatt“ selbst ausprobieren kann.
Das Archäologiemuseum deckt eine Spanne von der Eiszeit bis zum Dreißigjährigen Krieg ab. Deshalb ist es ein großer geschichtlicher Sprung, den die Besucher:innen auf dem Weg in die zweite Ausstellung der Schranne machen. „Museum für Grenzgänger – Nachbarn im Grabfeld“ ist sie betitelt, ihr Thema ist der Umgang der Menschen im Grabfeld mit der Grenze zur einstigen DDR. „Die Grenze verlief mitten durch das Grabfeld und damit durch eine historisch gewachsene Region. Uns war es wichtig herauszustellen, was die Menschen auf beiden Seiten verbunden hat“, erläutert Andreas Rottmann. Was das war, zeigen unter anderem Trachten, Dialektbeispiele oder Tagebucheinträge. Und auch die Wiedervereinigung ist Thema – dargestellt etwa durch schnödes Plastikgeschirr, in dem die ersten Besucher:innen aus der DDR eine warme Mahlzeit erhielten.
Faszination Grabfeld
Solche Dinge machen für Andreas Rottmann die Faszination des Grabfelds aus: „Wir haben nicht unbedingt die ganz großen Höhepunkte, dafür aber viele kleine.“ Aus diesem Grund haben er und andere Geschichtsfreunde ein Leader-Projekt angestoßen, über das der „Treffpunkt Grabfeld“ finanziert werden konnte. Genau genommen handelt es sich um zwölf solcher Treffpunkte, die Schranne ist einer davon: „Jede Gemeinde des fränkischen Grabfelds hat einen wichtigen Kulturort ausgewählt, der exemplarisch für die kulturelle Vielfalt bei uns steht“, erklärt Andreas Rottmann die Idee dahinter.
Und abwechslungsreich sind diese Treffpunkte auf jeden Fall: Die Tausendjährige Eiche in Aubstadt ist genauso darunter wie der Badesee Irmelshausen oder das Wasserschloss Kleinbardorf samt Selfie-Point und Skulpturenweg. „Die Treffpunkte lassen sich gut mit einer Wanderung oder einer Radtour verbinden“, so Andreas Rottmann weiter. Und für diese Outdoor-Aktivitäten bieten die Haßberge eben auch die perfekten Rahmenbedingungen. Damit verknüpft die Region Kultur, Aktivurlaub und fränkische Kulinarik – vom Frankenwein bis zum Bier – auf einzigartige Weise.
Kultur erleben für Groß und Klein
Mit den Treffpunkten jedenfalls wird das Kulturerlebnis ganz unkompliziert, und das ist dem Museumsleiter sehr wichtig. Deshalb haben sich Andreas Rottmann und andere lokale Partner wie die VHS Rhön-Grabfeld und das Jugendzentrum in Bad Königshofen auch zu einem Netzwerk für Jugendkultur (jukunet) zusammengeschlossen. Jedes Jahr hat das jukunet über 200 Veranstaltungen im Programm – vom Back- bis zum Theater-Workshop. Viele dieser niederschwelligen Angebote beziehen das Museum mit ein und machen Kinder, Teenager und Menschen aus aller Welt, die in Bad Königshofen eine neue Heimat gefunden haben, mit der Schranne vertraut. Schließlich geht es Andreas Rottmann auch bei der Kultur darum, Grenzen zu überwinden. „Nur so beleben wir uns gegenseitig“, ist er sich sicher – und die „Graffelti“ haben es verdient, dass ihre Schatzkammern mit jeder Menge Leben gefüllt werden.
Wer sich nun auf eine abwechslungsreiche Reise durch die bewegte Geschichte des Grabfeldes begeben möchte, der macht in den „Museen in der Schranne“ ausgiebig Bekanntschaft mit den verschiedenen Epochen: www.schranne.info. Mehr über die Freizeitmöglichkeiten in den Haßbergen findet sich unter: www.hassberge-tourismus.de. Die Region ist durch ihre zentrale Lage gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen – weitere Informationen unter www.hassberge-tourismus.de/erleben/unterwegs/mit-dem-oepnv.