Liebenswertes „Räuberpack“ im Spessart-Mainland

Früher war es für Reisende äußerst gefährlich, in die Fänge der legendären Spessarträuber zu geraten. Heute ist es ein großer Spaß, den die Überfallenen im Spessart-Mainland ebenso genießen wie das „elende Räuberpack“ selbst.

Wenn man Wein mit Familiennamen (und Sisi mit Vornamen) heißt, passt es wunderbar, wenn man über den Frankenwein schreiben darf. Und über Frankens kulinarische Besonderheiten. Über Natur, Traditionen und Kultur. Und vor allem über die Menschen, die das Urlaubsland so besonders machen. Das tue ich, seitdem ich vor rund 20 Jahren als Journalistin vom Bayerischen Wald in den Naturpark Altmühltal gezogen bin. So vereint meine Arbeit zwei meiner Lieblingsdinge: Schreiben und Reisen – denn noch immer ist jeder Recherche-Besuch in Franken wie Urlaub, bei dem unglaublich spannende und gastfreundliche Menschen meinen Horizont erweitern.

Mit den Hausbesuchen begleiten wir Einheimische bei ihrem täglichen Wirken im Urlaubsland Franken. Heute begebe ich mich in die Gesellschaft finsterer Gesellen – zu den berüchtigten Spessarträubern und ihrem Hauptmann Günther Köstler.

Helfrieds letztes Stündlein hat geschlagen. Am Ast über ihm baumelt der Strick, sein Hals steckt schon in der Schlinge. An Flucht ist nicht zu denken, denn der Räuberhauptmann und seine Bande bewachen ihn mit Argusaugen, während die Räuberliebchen ihn mit Hohn und Spott überziehen.

Kaum eine Viertelstunde vorher saß Helfried noch gemütlich mit seiner sächsischen Reisegruppe im Pferdeplanwagen, den der Kutscher durch den herrlichen Spessartwald bei Heimbuchenthal lenkte. Während die Gäste an einen malerischen Biergarten mit fränkischen Spezialitäten oder an einen edlen Tropfen Wein aus dem Urlaubsgebiet Spessart-Mainland denken, knallt plötzlich ohrenbetäubend laut eine Büchse! Zwischen den Bäumen springen die Räuber hervor, der Hauptmann schreit lauthals „Schissi matucki“ und die bewaffnete Bande wirft sich dem Planwagen in den Weg. Bevor die Reisenden sich versehen, sind sie mit dem „Räuberstempel“ geschwärzt und aus der Kutsche „gezerrt“ – unter viel Gelächter und bei Bedarf auch mit helfender Hand. Für die besonders Aufmüpfigen haben die Räuber sogar Halseisen und Handfesseln parat. Den armen Helfried hat es getroffen, aber er nimmt den Weg zum Galgenstrick mit Humor. Genau so soll es auch sein, wenn die Spessarträuber – in diesem Fall „Hauptmann“ Günther Köstler und seine Frau Bettina, Günter Bartholomäus und seine Frau Ursl sowie Walter Amrhein – in Aktion sind.

© SML/Horst Klement

Was für die Gruppe ein großer, im Reiseprogramm als „spessarttypische Überraschung“ angekündigter Spaß ist, geht auf die berühmte Räubernovelle „Das Wirtshaus im Spessart“ zurück, die Wilhelm Hauff 1826 schrieb. Diese hat einen realen Hintergrund, bei dem jegliche Räuberromantik fehlt: Die echten Spessarträuber verbreiteten unter den Reisenden Angst und Schrecken. Relativ unbehelligt konnten sie ihr Unwesen treiben. Dafür sorgte die Zersplitterung des Spessarts in mehrere Herrschaftsbereiche, in denen keine grenzübergreifende Strafverfolgung stattfand. Außerdem boten die weiten Wälder der Region, heute eine erstklassige Wander- und Genussregion mit ausgezeichneten Qualitätswegen, den finsteren Gesellen damals austeichend Verstecke. Erst nach dem Wiener Kongress 1814/15 und der damit verbundenen Neuordnung der Territorien wurde das Räuberproblem gelöst. Rund 140 Jahre später kamen die Räuber wieder: diesmal aber in Form einer Filmcrew rund um Lieselotte Pulver und Carlos Thompson.

1957 drehten sie an Originalschauplätzen wie dem Wasserschloss Mespelbrunn oder auf dem Miltenberger Marktplatz den Komödienklassiker „Das Wirtshaus im Spessart“. Beide Orte sind heute noch einen Besuch im Spessart-Mainland wert, genauso wie sich Ausflüge in das herrliche Aschaffenburg, die Schneewittchen-Stadt Lohr am Main oder in die ruhigen Wellnessoasen in Bad Orb und Bad Soden-Salmünster lohnen. Aus eben diesem Film also hat die „Original Spessarträuberbande“ rund um Günther Köstler, der im wahren Leben übrigens Chef der örtlichen Sparkasse war, ein amüsantes Kurzprogramm zusammengestellt. „Wir kommen alle von der Spessart-Bühne, die in unregelmäßigen Abständen am Wasserschloss Mespelbrunn das Wirtshaus im Spessart als Freilichttheater aufführt“, erzählt er. Da die Nachfrage so groß war, entschlossen sich einige der Laienschauspieler, ein rund einstündiges Programm samt Überfall anzubieten.

„Wir haben schon alles überfallen, vom Geburtstag bis zur Silberhochzeit.“

Günther Köstler

Über 35 Jahre ist dies her und noch immer sind Köstler und seine Truppe Freizeiträuber aus Leidenschaft. In der Sommersaison rüstet sich die Truppe fast jeden Samstag zum Räuberüberfall, im Winter bieten sie auch die Kombination mit einer Fackelwanderung an. „Wir haben schon alles überfallen, vom Geburtstag bis zur Silberhochzeit“, so der Hauptmann. Aber können Jüngere überhaupt noch etwas mit dem Filmklassiker aus den 1950ern anfangen? Kein Problem, ist sich Köstler sicher: „Sie kennen vielleicht den Film nicht, aber das Programm gefällt ihnen trotzdem – die Geschichte ist einfach selbsterklärend.

Wer nun selbst einmal den Nervenkitzel genießen möchte, in die Hände der Spessarträuber zu fallen, der findet den Hauptmann und seine Bande unter www.mespelbrunner-spessartraeuber.de. Mespelbrunn, wo die Räuber ihr Unwesen treiben, ist durch Regionalbuslinien an den ÖPNV angeschlossen, die Räuberverstecke sind dann bequem zu Fuß erreichbar. Für diejenigen, die es ohne Räuberüberfall angehen lassen möchten, bietet das Spessart-Mainland weitere Möglichkeiten als ausgezeichnete Rad- und Wanderregion und in Form des einzigartigen Frankenweins, der zum Genießen und Verweilen einlädt.

Sisi Wein

Verfasst von Sisi Wein
am 16. Juni 2021 unter Familienland Franken, Hausbesuche Franken mit den Schlagwörtern Abenteuer, Familie, Spessart, Spessart-Mainland.

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